Digital Transformation Lab for Teaching and Learning

Navigating the Future

Ein reflexives Lehrkonzept zu Future Skills im Master Komplementärstudium

von Gitte Köllner

Reflexion und Future Skills: Voraussetzungen für die Handlungsfähigkeit von Hochschulabsolvent*innen

Die digitale Transformation stellt die Hochschullehre vor neue Herausforderungen. Eine Herausforderung liegt beispielsweise darin, dass der Popularität und Vielfalt von KI-Tools eine Reihe an Fragen gegenüberstehen, die wir uns und den Studierenden stellen müssen. Einerseits im Kontext des Studiums und andererseits perspektivisch mit Blick auf das spätere professionelle Umfeld der Studierenden. Für eine sinnstiftende Nutzung generativer KI im Studium ist eine aktive Auseinandersetzung mit ihren Chancen und Grenzen unerlässlich, darüber hinaus müssen unsere Hochschulabsolvent*innen auf eine Arbeitswelt vorbereitet werden, die sowohl durch hochemergente Organisations- und Praxiskontexte als auch durch digitale Transformation geprägt ist.

 

An dieser Stelle setzt das Teilprojekt „Skills for a Digital Future“, welches die digitale Transformation der Hochschullehre durch ein prospektives und hochgradig reflexives Lehrkonzept mitgestaltet. Ausgehend von einem Verständnis, dass Future Skills diejenigen Fähigkeiten sind, die es Hochschulabsolvent*innen ermöglichen, zukünftige berufliche Herausforderungen bestmöglich zu bewältigen, integriert das Projekt das Modell der Future Skills in die Lehre. Das Projekt ist im Masterkomplementärstudium verortet, das sich mit seinen drei Modulen (1: Engaging with Knowledge and Sciences, 2: Reflecting on Research Methods, 3: Connecting Science, Responsibility and Society) als Forum für den interdisziplinären und reflexiven Austausch aller Studierenden versteht. Ziel ist es, entlang des Komplementärstudiums ein reflexives Begleitformat zu installieren, welches den Studierenden die Möglichkeit bietet, überfachlich und interdisziplinär Veränderungen, Anforderungen (Future Skills) und Implikationen für die Entwicklung der Arbeitswelt zu reflektieren und zu diskutieren, um in dynamischen und komplexen Arbeitsumgebungen handlungsfähig zu sein. 

Dieses Begleitformat kann als eine Art Baukasten verstanden werden, das Lehrende bei der Entwicklung neuer Seminare im Masterkomplementärstudium unterstützen möchte. Entlang einer Grundstruktur, die in allen Seminaren beibehalten wird, können entsprechend der inhaltlichen Ausrichtung der jeweiligen Lehrveranstaltung Reflexionsaufgaben entwickelt werden, die das Thema Future Skills an das Seminar ankoppeln.

 

In der Hochschulbildung existiert national und international eine Vielzahl an Modellen zu Future Skills die u.a. auch als 21st Century Skills (Seidl 2017), digitale Kompetenzen (Pfiffner et al. 2021) oder 4K-Skills (bzw. engl.: 4C) bezeichnet werden, wobei K für Kreativität, kritisches Denken, Kollaboration und Kommunikation (Muuß-Merholz 2022) steht. Adaptiert nach den Modellen zu Future Skills von Ehlers (2020) und dem Stifterverband (2021) zielt das Lehrkonzept auf die Förderung der Urteilsfähigkeit, im Sinne eines kreativen kritischen Denkens und der Reflexionsfähigkeit, der Digitalkompetenz, im Sinne kritisch analytischer Reflexion der Wirkungsweise und der Potenziale und Grenzen digitaler Technologien, in Bezug auf Individuum und Gesellschaft, sowie der Selbstkompetenz, im Sinne einer eigenverantwortlichen Steuerung des Lern- und Entwicklungsprozesses.

Um diese Fähigkeiten zu fördern haben wir ein hochgradig reflexives Setting gestaltet. Reflexion, als zentrales Konstrukt unseres Begleitformats, wird in Anlehnung an Reflexionsverständnisse aus den Bildungswissenschaften verstanden als ein zielgerichteter mentaler Prozess, z.B. des Untersuchens oder Hinterfragens, bezogen auf einen spezifischen Gegenstand und in Hinblick auf ein Ziel, wie beispielsweise das Beurteilen, Verändern oder das Wechseln der Perspektive. Dabei wird im Projektkontext zwischen internal und external ausgerichteter Reflexion unterschieden (vgl. Aufschnaiter et al. 2019).

Lehrinnovation: Die Grundstruktur des reflexiven Begleitformats

Um zuvor beschriebene Reflexionsprozesse zu initiieren, wurden unterschiedliche Aufgabentypen im Lehrkonzept angelegt. Dabei wird ganz grundlegend zwischen internaler und externaler Reflexion unterschieden, welche in zwei Aufgabenformaten adressiert werden. Bei der internal ausgerichteten Selbstreflexionen geht es primär um den Blick nach innen und die Reflexion des eigenen Lern- und Entwicklungsprozesses (Aufschnaiter et al. 2019; Beauchamp 2006; Korthagen und Vasalos 2005). Dieser Aufgabentyp nennt sich Deep Dive. Hier geht es darum, tiefer einzutauchen und persönliche individuelle Aspekte zu reflektieren. Dieser Aufgabentyp wird nicht bewertet und die Studierenden bearbeiten diese Aufgaben in den Seminarsitzungen.

Daneben gibt es die sogenannten Reflection Nuggets die stärker external orientiert sind und inhaltliche Aspekte des Seminars aufgreifen, zu denen die Studierenden sich in Bezug setzen sollen. Diese Reflexionen gehen anteilig mit in die kombinierte Prüfungsleistung rein.

Abbildung 1 Grundstruktur des reflexiven Begleitformats

Erste Erfahrungen: Pilotierung des Begleitformats

Das reflexive Lehrkonzept wurde im Wintersemester 2023/24 als Seminarangebot im Modul 3 des Master-Komplementärstudiums „Connecting Science, Responsibility and Society“ pilotiert. In Kooperation mit Prof.in Laura Venz aus der Arbeits- und Bildungsorganisation wurde das Seminar „Navigating The Future: Building Crititcal Skills For Tomorrow” konzipiert, in dem die zuvor  vorgestellten Reflexionsformate wie folgt integriert wurden: Die stärker external orientierten Reflection Nuggets greifen inhaltliche Aspekte des Seminars auf und bauen aufeinander auf. In dem Pilotseminar werden die Studierenden dazu angeleitet, ausgehend von Reflection Nugget #1 „Future Scenario“, ein Zukunftsszenario ihrer möglichen Arbeitswelt zu antizipieren, in Reflection Nugget #2 „Digitalization“,die Auswirkungen der Digitalisierung auf diese zu reflektieren, Reflection Nugget #3 „Ethical Considerations“ initiiert die Auseinandersetzung ethischer Überlegungen in diesem Kontext und in Reflection Nugget #4 „Future Skills“ sollen die Studierenden schließlich reflektieren, welche künftige Fähigkeiten (Future Skills) in dem zuvor antizipierten Future Scenario erforderlich sein werden, um den Anforderungen dieses Zukunftsszenarios gerecht zu werden. Die vier Reflection Nuggets richten sich entlang der Inhalte aus, die im Seminar behandelt werden.

Abbildung 2 Reflection Nugget #1 FUTURE SCENARIO

Während dieses Reflexionsformat auf die Inhaltsebene abzielt, fokussiert das Format der Deep Dives, die stark selbstreferentiell orientiert sind, die persönliche, individuelle Ebene. Deep Dive #1 „NOW“ ist eine Art Bestandaufnahme, geleitet von Reflexionsfragen wie: Wo stehst Du gerade? Was sind die Ziele für dieses Semester? Was treibt Dich an? Deep Dive #2 „Look Ahead“ knüpft an Reflection Nugget 1 an und kombiniert Selbst- und Gruppenreflexion. Teil 1 dieser Aufgabe ist eine Selbstreflexion und stellt die Vorarbeit für eine Gruppenreflexion im Seminar dar. Vor dem Hintergrund des interdisziplinären Seminarsettings sollen die Studierenden dann in Teil 2 dieser Aufgabe ihre unterschiedlichen Perspektiven austauschen und diskutieren. Deep Dive 3 „Look Back“ ist schließlich eine retrospektive Reflexion des Seminars, in der die Studierenden ihren Lern- und Entwicklungsprozess im Laufe des Seminars reflektieren sollen.

Abbildung 3 Deep Dive #1 NOW

Beide Reflexionsformate, Reflection Nuggets und Deep Dives, wurden in den Moodle-Kurs integriert, der das Seminar flankiert. Neben den Seminarinhalten stellt dieser Kurs vier Reflection Nuggets und drei Deep Dives bereit, die nacheinander, jeweils so wie sie zeitlich im Seminarplan inhaltlich verankert sind, für die Studierenden freigeschaltet werden. Diese können die Reflexionen direkt online im Editor auf Moodle verschriftlichen und einreichen. Die Prüfungsleistung zu diesem Seminar ist eine kombinierte Prüfungsleistung. Zum einen sind die Reflection Nuggets als Written Reflection Bestandteil (20%). Der andere Teil besteht einerseits darin, ein KI-generiertes Term Paper zu einer empirischen Fragestellung um die Themen New Work, Future Skills, Digitalisierung der Arbeitswelt zu erstellen. Dabei ist den Studierenden die Wahl des KI-Tools freigestellt. Den größten Anteil an der Prüfungsleistung bildet die schriftliche Reflexion dieses Prozesses, d.h., wie mittels KI eine wissenschaftliche Arbeit geschrieben werden kann (60%). Der Inhalt des KI-Textes ist außerhalb der Bewertung, vielmehr geht es um den Aufgabenbearbeitungsprozess. Die Studierenden sollen sich reflexiv damit auseinandersetzen, wie sie diese Aufgabe angegangen sind, welche Herausforderungen sich ihnen dabei stellten, welche Erfahrungen sie gemacht haben, welche Erkenntnisse sie gewonnen haben, wo sie Grenzen sehen und wo aber auch Potenziale. In den Reflexionen soll so z.B. auch sichtbar gemacht werden, inwiefern falsche oder unzureichende Aussagen von der KI generiert wurden. Für die Bewertung der Reflexionen werden den Studierenden zur Orientierung inhaltliche Kriterien mitgegeben.

 

Im Rahmen der Evaluation, die an die Pilotierung anschließt, werden die Reflexionstexte der Studierenden qualitativ ausgewertet, um einerseits Aussagen darüber treffen zu können, inwiefern die an das Begleitformat geknüpften Ziele umgesetzt werden konnten und zum anderen werden Implikationen für die Hochschullehre abgeleitet.

Literaturverzeichnis

Aufschnaiter, Claudia von; Fraij, Amina; Kost, Daniel (2019): Reflexion und Reflexivität in der Lehrerbildung. In: Herausforderungen Lehrer_innenbildung – Zeitschrift zur Konzeption, Gestaltung und Diskussion (2), S. 144–159. DOI: 10.4119/HLZ-2439.

Beauchamp, Catherine. (2006): Understanding reflection in teaching : a framework for analyzing the literature. Online verfügbar unter https://escholarship.mcgill.ca/concern/theses/w0892g316?locale=en.

Ehlers, Ulf-Daniel (2020): Future Skills : Lernen der Zukunft – Hochschule der Zukunft. Wiesbaden: Springer Nature.

Korthagen, Fred; Vasalos, Angelo (2005): Levels in reflection: core reflection as a means to enhance professional growth. In: Teachers and Teaching 11 (1), S. 47–71. DOI: 10.1080/1354060042000337093.

Muuß-Merholz, Jöran (2022): Die 4K-Skills – ein kunstvoll geflochtener Zopf. In: Das Magazin für das Lehren und Lernen 2, S. 6–9. Online verfügbar unter https://www.profil-online.ch/profil-online-media/docs/2022/006555_sv_profil_2022-2_digital_neu.pdf, zuletzt geprüft am 20.02.2024.

Pfiffner, Manfred; Sterel, Saskia; Hassler, Dominic (2021): 4K und digitale Kompetenzen (E-Book). Chancen und Herausforderungen. 1. Auflage. Bern: hep Verlag (4K kompakt, 1). Online verfügbar unter https://ebookcentral.proquest.com/lib/kxp/detail.action?docID=6723583.

Seidl, Tobias (2017): Schlüsselkompetenzen als Zukunftskompetenzen. Die Bedeutung der „21st Century Skills“ für die Studiengangsentwicklung. In: Brigitte Berendt (Hg.): Neues Handbuch Hochschullehre, J 2.23. Berlin: DUZ Verlags- und Medienhaus, S. 89–114.

Stifterverband, McKinsey (2021): Future Skills Framework. Online verfügbar unter https://future-skills.net/framework, zuletzt geprüft am 15.11.2023.

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